Autor: Tina Schulz Jirka Pfahl »ausderkunst< Reihe A4 Band 5 ISBN 3-936826-27-7 gutleut-verlag, Frankfurt/ Main und Weimar Jäger und Gejagter A: Auf der Jagd nach dem Grossen Bären Die Kunst ist ein Bär, dessen schimmernder Pelz viele Jäger auf den Plan ruft. Natürlich ist dieser Bär kein gewöhnlicher: Obwohl kein Jäger mit Sicherheit von sich behaupten kann, den Bären erlegt zu haben, wurde seine Haut schon tausendfach zerteilt. Doch das wunderliche Tier bleibt quicklebendig, streift umher, vergrössert sein Revier und narrt seine Jäger. Im Kunstfeld scharen sich nun um den Bären ProduzentInnen, VermittlerInnen, KritikerInnen und KonsumentInnen, und sie alle kommen, hat sie denn die Leidenschaft gepackt, früher oder später einmal auf die Idee, sich Teile des Bären anzueignen ? und zwar um beinahe jeden Preis. Die Jagdtechniken reichen vom Zähmen über das Erjagen bis hin zum offenen Raub, und neben Taschenspielern, Dieben und Jägern taucht die Figur des Wilderers auf. Ist man so weit involviert, dann spielen moralische Einwände gegen übel beleumundete Verhaltensweisen nur eine untergeordnete Rolle: "Wenn es etwas zu stehlen gibt, so stehle ich es", soll Pablo Picasso gesagt haben, und auch Francis Picabia macht aus seinen halbseidenen Methoden keinen Hehl: "Lying, lying and cheating, but not trying to make personal gain." Lügen, Betrügen und Stehlen also ? und nie zum eigenen Vorteil? Bei dem Zugriff auf das dem eigenen künstlerischen Revier einzugemeindende Material spielt neben der Lust an der Transgression stets auch die Selbstbehauptung des eigenen Künstlertums eine Rolle als Triebfeder. Objekt der Begierde kann alles sein: ein Kunstwerk, ein Alltagsgegenstand, eine Technik, ein Sprachspiel, eine Methode, ein Kontext, eine Idee oder eine Haltung. Marcel Duchamp schliesslich, selbst mehr Sammler von Zufällen und Zeitspannen als Jäger augenblicklicher Innovation, kann im Revier als der Igel gelten, der den jungen Hasen stets sein gelassenes "Ich bin schon da!" entgegenruft. Sein ebenso phänomenaler wie fundamentaler Handstreich beschreibt bis heute einen äussersten Punkt des Reviers. Doch rings um diesen Punkt dehnen sich die Grenzen endlos aus, und den Grossen Bären hat schon lange keiner mehr gesehen. >Chasing the solo exhibition< ist eine Arbeit von Jirka Pfahl, in der er sich schon im Titel als Jagender zu erkennen gibt. Gejagt wird, folgt man als Interpret dem Titel, der Zwölfender des Kunstbetriebes: die Einzelausstellung, am besten als Retrospektive angelegt, die das Werk des Künstlers musealisiert und ihn somit als Platzhirsch seines Metiers archiviert. Jirka Pfahls Arbeit besteht aus drei Fotografien, die Portraits des Künstlers zeigen. Gezeigt werden das Anvisieren, das Zielen und der Abschuss. Auf zwei Bildern sieht man den Künstler an der senkrecht zwischen den Augen stehenden Handkante vorbei in das Auge der Kamera peilen und auf dem dritten Bild mit beiden Zeigefingern in aggressiver Geste direkt ins Objektiv und somit zeitversetzt auf die vor dem Bild stehenden Betrachter zeigen. Dadurch, dass die Hände des Portraitierten gut ein Drittel seines Gesichts verdecken und so die Identifikation erschwert ist, wird der Schuss des Fotografen wie eine abprallende Kugel umgelenkt zum Gegenschuss des Portraitierten auf die Betrachter. Auch wenn der Titel die Jagd nach der Einzelausstellung behauptet, so zeigt sich der Künstler noch lange nicht bereit, dafür seine Haut zu Markte zu tragen. Oder ist der kurze, exklusive Moment, in dem sich die Blicke kreuzen und die Aufmerksamkeit des Betrachters allein dem Bild des Künstlers gilt, die Jagdbeute desselben? B: Fährten lesen, Fährten legen Positionswechsel vom Jagenden zum Gejagten, vom Subjekt zum Objekt zeigen sich in vielen Arbeiten Pfahls. Sie sind lesbar als Strategien zur Vergrösserung des Reviers, sprich des eigenen Handlungsspielraumes, und sind in den letzten Dekaden im Roundabout des Kunstbetriebs allseits zu beobachten gewesen. Das Konzept der einfachen Autorschaft löst sich auf zugunsten eines vielfachen Splittings: Man ist nicht nur KünstlerIn, sondern auch TheoretikerIn, VermittlerIn, KritikerIn und KonsumentIn. Subjektivität erschliesst sich immer wieder neu in projektbasierten Funktionszusammenhängen. Diese Auflösung der konsistenten Subjektposition, heute als allgegenwärtige Erfahrung der Postmoderne formuliert, findet sich bereits in der Philosophie des 19. Jahrhunderts: Die Erkenntnis der Unmöglichkeit, "Ich" zu sagen und damit einen fest definierten und stabilen Standpunkt zu markieren, wird schwankender Fixpunkt des romantischen Ideals und zugleich Ausgangspunkt moderner Subjekterfahrung. Dem Kunstbegriff ergeht es ähnlich wie der Subjektivität: "beide - Subjektivität und Kunst - haben einen entscheidenden Zug gemeinsam: Sie finden in sich keinen Grund, sie können sich selbst nicht sichern, vielmehr sind sie unentwegt dabei, sich über sich selbst zu verständigen. Sie zeigen alle Anzeichen jenes eigentümlich zwanglosen Zwangs der Moderne, in der Analyse ihrer sprachlichen Mittel und Voraussetzungen sich selbst zu thematisieren." (Gerhard Gamm: Kunst und Subjektivität, in: Subjekt und Medium in der Kunst der Moderne. Zürich/Berlin 2006, S. 50) Hinweise auf dieses Themenfeld lassen sich bei Jirka Pfahl in vielfacher Hinsicht finden. Die Werkreihe "Possible works after ..." und das Ausstellungsprojekt "Sold" stellen eine Auseinandersetzung mit dem in Auflösung befindlichen Begriff der Autorschaft dar, wobei er weder vor der Plakativität eines demonstrativen Epigonentums ("Possible works # 2 after Joseph Kosuth", 2004) noch vor der Vorspiegelung falscher Künstleridentitäten ("Sold", Galerieprojekt, seit Mai 2003) zurückschreckt. Künstlerische Strategien wie Aneignung, Zitat und Fake, alle in seinem Repertoire vorhanden, subversieren durch die originalgetreue Wiederholung oder leichte Abänderung bereits getroffener Aussagen die Implikationen eben dieser Aussagen und lassen die Modalitäten und Determinationen des jeweiligen Kontextes in den Vordergrund treten. Der Künstler wendet das Prinzip "Aneignung" sowohl auf der Werkebene als auch auf der Ebene der künstlerischen Haltung an: Er ist ein Grenzgänger im Revier und wildert auch ab und an gerne. Die aus diesem Stellungswechsel resultierende Heterogenität sowohl des künstlerischen Stils als auch der Position kann als Reaktion auf Zuschreibungen des Kunstmarktes interpretiert werden: "Mich," so scheint Jirka Pfahl sagen zu wollen, "bekommt ihr nie zu fassen!" C: Wie man jemandem einen Bären aufbindet, von dem man nur die Spur gesehen hat In der vorliegenden Publikation zeigt Jirka Pfahl Fotografien, deren unmittelbare und neu hergestellte Zusammenhänge für den uneingeweihten Betrachter nicht rekonstruierbar sind. Was dieses Album heterogener Bildanlässe vielmehr zu sagen scheint, ist ein immer wiederkehrendes: "Ich war (schon) da!" Aber, so fragt man sich, wo denn? Hinweise auf Alltags-, Club- und Partyszenen finden sich ebenso wie Referenzen und Zitate des Kunstbetriebs, doch weder das eine noch das andere drängt sich sinnstiftend auf. Wir sehen Nebenschauplätze des Kunstschaffens und -vermittelns, Protagonisten in Aktion (aber welcher?), reproduzierte Arbeiten des Künstlers und hin und wieder Ausstellungsansichten - doch all dies ohne erläuternde Angaben. Ein Bildarchiv liegt offen, ohne dass die Kriterien der Auswahl genannt werden. Die Auswahl erscheint daher subjektiv und verweigert sich einer eindeutigen Lesart; Rückschlüsse auf den oder die Bildermacher erübrigen sich. Die zwischen die Abbildungen eingestreute Aussage "We don't intentionally do it for you!" unterstreicht diese Absage an den Betrachter: Wenn Code unbekannt, dann bitte draussen bleiben! Doch natürlich verursacht die Absage auch eine Steigerung des Begehrens: Wer ist wohl dieses "Wir"? Was gibt es am Ort der Sprecher zu entdecken? Welche Verbindung besteht zwischen den einzelnen Ereignissen? Pfahl betätigt sich hier als Fährtenleger, seine Fotografien sind gewissermassen auf der Spur des Grossen Bären. Ob er mit der auf der Titelseite des Heftes abgebildeten Textarbeit "I guess, we should give it a try in the market" allerdings den Bären zum Abschuss freigeben oder endgültig sein Terrain erobern möchte, bleibt dahingestellt.